Zum Hauptinhalt springen
Kontakt
Standorte
Trends

Zweites Zuhause

Das Domizil am Land ist für viele längst mehr als ein Zweitwohnsitz. Davon profitieren vor allem Regionen abseits der touristischen Hotspots.
Lesedauer: 6 Minuten
Veröffentlicht: 10.05.2024
Heinz Wares, MBA
Diesen Artikel teilen

Die Sehnsucht nach Entschleunigung und einem einfacheren Leben wächst. Günstigere Lebenshaltungskosten, niedrige Wohnkosten, Sport und Entspannung in der Natur sowie die Suche nach einem intakten sozialen Leben treiben nicht nur ältere Menschen aufs Land. Es geht längst nicht mehr nur um Sommerfrische und Winterspaß. Wer heute einen zweiten Wohnsitz sucht, findet oft seinen zukünftigen Hauptwohnsitz.

Wachstum im Abseits

Jährlich wechseln fast 400.000 Menschen in Österreich die Gemeinde, mehr als 150.000 sogar das Bundesland. Trotz der weiterhin attraktiven urbanen Zentren ist seit 2019 ein deutlicher Trend zurück aufs Land zu erkennen. Nicht nur der nach der Wende entvölkerte Osten Deutschlands füllt sich langsam wieder mit Menschen, auch traditionell von Abwanderung betroffene heimische Gemeinden erleben einen neuen Zulauf. Das Waldviertel, die Grenzregionen zu Slowenien, das Alpenvorland und das östliche Mühlviertel verzeichnen seitdem eine positive Wanderungsbilanz – es gibt mehr Zuzüge als Abwanderer.

Homeoffice-Hub oder Altersdomizil: Das Land gewinnt neue Bewohner:innen

Auch in Ländern wie Schweden, Spanien, Frankreich und Deutschland wird diese Entwicklung beobachtet und drei Hauptgruppen als Träger dieser Bewegung identifiziert: die sogenannten Familienwanderer (30- bis 49-Jährige mit ihren minderjährigen Kindern), die den Großstädten den Rücken kehren und aufs Land ziehen. Relativ neu hingegen sind nicht nur urbane Notebook-Ritter, die dank Homeoffice und Webkonferenz das teure Stadtleben hinter sich lassen, sondern auch immer mehr ältere Semester, die ihren Ruhestand am Land verbringen wollen. Nicht wenige Zweitwohnsitze werden von ehemaligen Auswanderern mit dem Ziel errichtet, Ferien oder den Ruhestand in ihrer Herkunftsregion in der Nähe von Familie oder Verwandten zu verbringen. Für andere ist auch ohne lokale Wurzeln die Aussicht auf einen Ruhestand in intakten sozialen Strukturen und schöner Natur attraktiv.

Impuls statt Belastung

In vielen Regionen außerhalb der touristischen Hotspots ist von einer Belastung durch Zweitwohnsitze selten die Rede, ganz im Gegenteil: Die neuen Bewohner bringen frischen Wind in die Orte und stärken die lokale Wirtschaft. Lokale Initiativen und Kulturprojekte finden Unterstützung, Geschäfte und Gaststätten überleben durch die zusätzlichen Kunden. Nicht selten finden sich sogar Gründer unter den neuen Landbewohnern.

Das Land kommt in Bewegung

Älter, digitaler, multilokaler

Dass dieser Trend eine Chance für Landgemeinden bedeutet, weiß auch der heimische Gemeindebund. Eine 2019 veröffentlichte Studie geht von 1,2 Mio. Menschen aus, die „multilokal“ wohnen, also mehr als einen geographischen Anknüpfungspunkt für ihren Heimatbegriff haben. Die Studie definiert vier Handlungsfelder für die Kommunen: „Bewusstsein und Ansprechstrukturen“ – also z.B. die Schaffung eines lokalen Ansprechpartners für das Thema, „Soziales Miteinander und Engagement“, „Wohnen und Infrastruktur“ sowie „Arbeit und regionale Wirtschaft“. Entsprechende Initiativen gibt es mittlerweile einige: Die Plattform „Wohnen im Waldviertel“ vermarktet die gar nicht so entlegene Region seit 2009 erfolgreich als (zweites) Zuhause.

Veranstaltungen und Projekte, die die Verbindung zwischen Einheimischen und „Ausheimischen“ festigen, gibt es landesweit; in Regionen wie Südtirol, wo Heimatverbundenheit auf traditionell hohe Migrationsraten trifft, teilweise seit Jahrzehnten. Die Einrichtung eines „Kommunalkonsulats“ für einige innovative Landgemeinden in Wien wurde zwar mittlerweile geschlossen, doch Einrichtungen, die städtische und ländliche Kultur in ihren architektonischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Dimensionen zusammenbringen, gibt es aber viele - zuletzt macht das Südburgenland mit einem Probewohnen-Projekt auf sich aufmerksam.

Multilokalität ist ein Massenphänomen, das gekommen ist, um zu bleiben. Geschickt gefördert und gemanagt können viele Regionen davon profitieren, die aus rein touristischer Perspektive bisher nur wenig Beachtung fanden. Abseits von gut vermarkteten Erlebniswelten mit Skiern oder Badehose bieten diesen Gegenden ein konkretes regionales, soziales und kulturelles Zuhause, das für immer mehr Menschen an mehreren Orten bestehen kann.

Weiterlesen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren